Nach Demo gegen rechts ist das Leben für die Veranstalterin schwerer als vorher (2024)

Tausende haben in München gegen rechts demonstriert. Doch an der Organisatorin Lisa Poettinger wächst die Kritik: Zu links, zu radikal. Die Abendzeitung hat die 27-Jährige getroffen. Sie brauche ein dickes Fell, sagt sie.

„Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär nur deine Schuld, wenn sie so bleibt. Geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren“, singen die Ärzte im Radio, als Lisa Poettinger hereinkommt. Ein Zufall, der passender nicht sein könnte: Die 27-Jährige ist das Gesicht der großen Demo gegen rechts, die am Sonntag in München nach Schätzungen bis zu 250.000 Menschen auf die Straße brachte.

Und sie ist diejenige, an der sich jetzt so viele abarbeiten: wie „Bild“, die „FAZ“, die CSU. Alle scheinen sich einig: Lisa Poettinger ist linksradikal, ihre Kritik an CSU und Ampel wirft einen Schatten auf die große, erfolgreiche Demo. Wer ist Lisa Poettinger wirklich?

Um das zu erfahren, hat sich die Abendzeitung mit ihr im Café Bellvue di Monaco getroffen, sie suchte es aus. Oft sei sie aber gar nicht hier, sagt sie, dazu fehle die Zeit. Erst recht jetzt. Im Februar schreibt sie ihr Examen. Dafür lerne sie gerade praktisch rund um die Uhr, sagt sie.

Lisa Poettinger wollte keine CSU-Leute bei Demo gegen rechts

Poettinger will Lehrerin werden. Momentan hat ihr Notendurchschnitt eine Eins vor dem Komma – in den Fächern Englisch, Schulpsychologie, Deutsch als Zweitsprache, Ethik, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Environmental Studies.

Trotzdem fragt sie sich gerade selbst, ob sie jemals als Lehrerin arbeiten darf. Denn sie hat sich Feinde gemacht.

„Was wollen CSU-Politiker:innen vor Ort? Als Versammlungsleiterin kann ich sagen, dass ich gar keinen Bock auf rechte jeglicher Couleur habe!“, schrieb Poettinger vor der Demo auf der Nachrichtenplattform X.

Als „rotzfreche Pöbelei“ bezeichnete das der Antisemitismus-Beauftragte der Staatsregierung Ludwig Spaenle im „FOCUS“. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) nannte ihr Verhalten in einer Pressemitteilung inakzeptabel.

Demo-Organisatorin bekommt Hassnachrichten

„Von der Demo bin ich überwältigt. Gleichzeitig muss ich jetzt eine dicke Haut haben“, sagt Poettinger. Denn gerade bekomme sie viele Hassnachrichten. Sie sei froh, dass ein paar Freunde gerade die schlimmsten für sie löschen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Lisa Poettinger so viel Hass erfährt. 2022 war sie das Gesicht der G7-Proteste in Ellmau. Damals twitterte sie: „Ich halte es für legitim, die Adressen von Nazis, Klimafaschos und Konzerneigentümer:innen zu veröffentlichen. Die Frage ist halt, was dann damit gemacht wird: Das Haus mit Farbe bewerfen oder Grafitti, cool. Gewalt gegen Leute schwierig…“ Danach bekam sie Morddrohungen und musste ihre Adresse sperren lassen.

Die Aufregung hat sie überrascht

Dass diesmal so eine Aufregung entsteht, habe sie aber überrascht. Dass sich die CSU an die „AfD anbiedert“, das ist aus ihrer Sicht schlicht eine Tatsache.

Unmenschlich ist für sie nicht nur die AfD, sondern auch das neue Asylgesetz der Bundesregierung, das zum Beispiel ermöglicht, Asylbewerber vor ihrer Abschiebung bis zu 28 Tage zu inhaftieren.

„Der Sinn der Demo liegt nicht darin, dass sich jetzt alle auf die Schulter klopfen, sondern jeder soll sich fragen, welchen Anteil er an dem Rechtsruck hat“, findet Poettinger.

Und dieser Rechtsruck beginnt für sie nicht erst bei der AfD – sondern in der Mitte der Gesellschaft. Poettinger will nicht, dass es sich die Menschen zu bequem machen – vielleicht, weil sie es selbst nie bequem hatte.

Lisa Poettinger war in ihrer Jugend arm

Sie wuchs in Murnau auf. Als sich ihre Eltern trennten, sei sie armutsbetroffen gewesen. Gemüse habe sich die Familie nicht leisten können. Ihre Oma habe für die Familie am Abend die Bäckereien abgeklappert, um das alte Brot zu bekommen.

Als 2015 Tausende Menschen Schutz in Deutschland suchten, habe sie begonnen, sich für Geflüchtete in Murnau zu engagieren. Nach einer Weile habe sie verstanden, dass einer der Hauptgründe, warum Menschen fliehen, das Klima ist.

Poettinger ist Klimaaktivistin, aber keine, die sich auf die Straße kleben würde. Klimapolitik muss für sie nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch eine soziale Komponente haben, sagt sie. In München organisierte sie mit anderen Aktivsten zum Beispiel Demos im Hasenbergl, wo viele arme Menschen leben, und das Rathaus einen Tunnel für Hunderte Millionen plant, um die Fabrik von BMW besser anzubinden.

Sie unterstützte MVG-Beschäftigte bei ihrem Streik für einen besseren Tarif. Und sie besetzte Forst Kasten, ein Wald im Südwesten, den die Stadt teilweise roden wollte und der nun doch erhalten bleibt.

Sie wünsche sich ein System, in dem die Frage, was produziert wird, nicht vom Profit abhängt, „sondern sich danach richtet, was wirklich gebraucht wird“. Kurz: Sie wünscht sich das Ende des Kapitalismus.

Lisa Poettinger machte in München auch eine Ausbildung zur Kinderpflegerin

Auf ihrem Weg dorthin benennt Poettinger alles, worin sie eine Ungerechtigkeit sieht. Aber ist es das wert, dafür die eigene Karriere zu opfern? „Ich weiß, dass der Kampf gegen den Faschismus wichtiger ist.“

Weil jetzt immer wieder Menschen in den Kommentarspalten fragen, wie man eine wie sie nur auf Kinder los lassen könne, sei ihr doch eines wichtig: „Ich habe nicht vor, Kinder zu indoktrinieren.“ Die Förderung von Selbstbestimmung sei ihr wichtig. Sie liebe es, mit Kindern zu arbeiten. Parallel zu ihrem Studium machte sie eine Ausbildung zur Kinderpflegerin.

Von Christina Hertel

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